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„Praxisnah, passgenau und progressiv“

Im Juli 2022 feierte die Berufliche Oberschule in Bayern offiziell ihr 50-jähriges Bestehen. Günter Liebl, zuständiger Referatsleiter im Bayerischen Kultusministerium, hat 18 Jahre davon entscheidend geprägt. Im Gespräch mit der bpv-Zeitschrift "Das Gymnasium in Bayern" (GiB) sprach er über die Bedeutung des Jubiläums, Meilensteine in einem halben Jahrhundert FOSBOS und Herausforderungen für die Fachober- und Berufsoberschulen:

 

GiB Was bedeutet das FOSBOS-Jubiläum für Sie persönlich?

G. Liebl Es freut mich sehr, dass wir, wenn auch coronabedingt mit zwei Jahren Verspätung, das Jubiläum 50 Jahre FOSBOS in einem offiziellen Festakt feiern können, denn die Fachoberschule und Berufsoberschule, inzwischen unter dem gemeinsamen Dach der Beruflichen Oberschule, haben sich zu einer tragenden Säule des gegliederten Schulwesens in Bayern entwickelt. Für mich persönlich ist dieses Jubiläum ein Anlass, um innezuhalten und einerseits zurückzublicken auf das, was in der Vergangenheit von der gesamten Schulfamilie zusammen mit wichtigen Partnern erreicht wurde, und andererseits vorauszuschauen auf die Herausforderungen, die auf die FOSBOS in den nächsten Jahren zukommen werden. Vor allem aber ist es ein Moment, um Danke zu sagen – Danke an alle, die den Erfolg der FOSBOS möglich gemacht haben, indem sie wichtige Prozesse zusammen mit dem Ministerium angestoßen, begleitet und unterstützt haben. Ich bin überzeugt: Gemeinsam mit unserer starken FOSBOS-Familie können wir auch die großen Aufgaben, die die Zukunft bereithält, gut meistern.

GiB Rückblickend auf 50 Jahre FOSBOS: Was sind die großen Meilensteine dieser Schulart?

G. Liebl Zunächst gilt natürlich die Geburtsstunde der Fachoberschule als wichtiger Meilenstein: Die Gründung von FOS/BOS vor 52 Jahren war eine notwendige und weitsichtige bildungspolitische Reaktion auf den technologischen Fortschritt und die Veränderungen des Arbeitsmarktes. Daraus ergab sich die bildungspolitische Forderung, den beruflichen Bildungsweg zu einem Hochschuldiplom auszubauen. Bayern hat damals richtig reagiert: mit der Einführung der Fachhochschulen und einer Fachhochschulreife nach mindestens 12 Jahren Schulbesuch und konsequenterweise mit der Gründung der Fachoberschule zum Schuljahr 1970/71 (50 Schulen) als Bindeglied zwischen den Fachhochschulen und den Schulen, die den mittleren Schulabschluss verleihen.

Dem explosionsartigen Anstieg der Schülerzahlen in den Anfangsjahren von ca. 6.000 auf fast 32.000 folgte eine Phase der Konsolidierung in den 1980er Jahren. Eine grundlegende Neustrukturierung erfolgte 1996/97 mit der „Dreistufigen Berufsoberschule“, die die Bildungsziele verschiedener Schularten (Berufsaufbauschule, 12L-Klassen der Fachoberschule, traditionelle Berufsoberschule) zu einem in sich geschlossenen Bildungsgang zusammenfasste. Nach dem Prinzip „gestufter Einstieg – gestufter Ausstieg“ konnten damit die bis dahin mehrfachen Schulwechsel vermieden werden, um den Mittleren Schulabschluss (am Ende der Vorklasse), die Fachhochschulreife (am Ende der Jahrgangsstufe 12) und die fachgebundene oder allgemeine Hochschulreife (am Ende der Jahrgangsstufe 13) zu erreichen. Zugleich erfolgte eine klare Differenzierung der Zuständigkeiten: die Fachoberschule als Oberstufenangebot für Schülerinnen und Schüler mit mittlerem Schulabschluss ohne berufliche Vorbildung und die Berufsoberschule für Schülerinnen und Schüler mit zusätzlich einer Berufsausbildung oder mehrjähriger Berufserfahrung.

Ein weiterer wichtiger Schritt war 2008 die Einführung der 13. Klasse an der Fachoberschule (FOS13); damit erhielten die Schülerinnen und Schüler nun ebenfalls die Möglichkeit zum Erwerb der fachgebundenen sowie allgemeinen Hochschulreife an der FOS und damit nicht nur den Zugang zu den Fachhochschulen, sondern auch zu den Universitäten. Damit konnte auch die FOS eine dem Gymnasium gleichwertige Ausbildung anbieten. Zum Anlass des 40-jährigen Bestehens der FOSBOS wurde ein umfassender Innovationsprozess im Jahr 2012 angestoßen, der mit einer noch heute nachklingenden Arbeitstagung in Herrsching begann. Die Ergebnisse wurden erfolgreich in die Praxis umgesetzt: mit einer neuen Schulordnung, einem innovativen Wahlpflichtangebot, mit der Stärkung des Praxisbezugs und Aufwertung der fachpraktischen Ausbildung als Markenzeichen der Fachoberschule, der Intensivierung des Fremdsprachenunterrichts, der Verbesserung der Studierfähigkeit durch Seminar und Fachreferat, mit kompetenzorientierten Lehrplänen sowie mit den neuen Ausbildungsrichtungen „Internationale Wirtschaft“ und „Gesundheit“. Im Schuljahr 2022/23 werden wir diesen inzwischen zehnjährigen intensiven Innovationsprozess evaluieren.

GiB Wie sieht die heutige FOSBOS-Landschaft in Bayern aus?

G. Liebl Die FOSBOS ist eine wachsende Schulart, die jedes Jahr eine hohe Zahl von Studienberechtigten an die Hochschulen entlässt. Der Erfolg lässt sich auch an den steigenden Schülerzahlen ablesen: In den letzten zehn Jahren sind die Fachoberschulen entgegen der demographischen Entwicklung um fast 18 Prozent auf über 48.000 gestiegen, die Berufsoberschulen haben allerdings mit rückläufigen Schülerzahlen zu kämpfen, u.a. aufgrund der sehr guten Lage auf dem Arbeitsmarkt (Fachkräftemangel) und der Ermöglichung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte ohne schulische Hochschulreife. Besonders stark sind die 13. Klassen gestiegen, im Schuljahr 2020/21 haben fast 6.000 Schülerinnen und Schüler die fachgebundene oder allgemeine Hochschulreife an FOSBOS erworben. Auch für das kommende Schuljahr haben sich fast 4,9 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler für die Eingangsklassen der Fachoberschule angemeldet. Die hohe Nachfrage hatte natürlich auch neue zahlreiche Schulgründungen zur Folge, inzwischen verfügen Fachoberschule und Berufsoberschule über ein flächendeckendes Netz mit 121 Fachoberschulen und 64 Berufsoberschulen im Freistaat. GiB Was ist das Besondere an der Schulart? G. Liebl Der Erfolg der FOSBOS gründet zum großen Teil auf dem ganz besonderen Profil der Schulart, nämlich der Verbindung von Allgemeinbildung mit berufsorientierten und theoretischen Kenntnissen. Der Unterricht wird sinnvoll ergänzt durch eine insgesamt halbjährige fachpraktische Ausbildung in Betrieben, Einrichtungen oder schuleigenen Werkstätten. Durch den Besuch einer der sieben Ausbildungsrichtungen (Technik, Wirtschaft und Verwaltung, Internationale Wirtschaft, Sozialwesen, Gestaltung, Gesundheit, Agrarwirtschaft, Bio- und Umwelttechnologie) der FOSBOS erhalten Schülerinnen und Schüler nicht nur eine profunde Allgemeinbildung, sondern auch eine Orientierung für ihre persönliche berufliche Entscheidung und eine gezielte Vorbereitung auf das Studium oder den Beruf. Der Unterricht, die fachpraktische Ausbildung und das vielfältige Schulleben an der FOSBOS unterstützen die Persönlichkeitsbildung. Verschiedene Fördermaßnahmen wie Förderunterricht, die Vorklasse (Vollzeit) und der Vorkurs (Teilzeit) helfen dabei, punktuelle Defizite abzubauen und individuelle Begabungen passgenau zu fördern. Kurzum: Schülerinnen und Schüler der FOSBOS sehen die Schulart als ihren ganz persönlichen, auf sie zugeschnittenen Weg zum Abitur, praxisnah, passgenau und progressiv.

GiB Worin genau unterscheiden sich FOS und BOS voneinander?

G. Liebl FOS und BOS sind unter dem gemeinsamen Dach der Beruflichen Oberschule organisiert, bereiten beide auf die identischen schriftlichen Fachabitur- und Abiturprüfungen in Deutsch, Englisch, Mathematik und einem Profilfach vor und haben einen gemeinsamen Lehrplan. Wie oben bereits erwähnt, gibt es in Bayern – übrigens anders als in den anderen Bundesländern – eine klare Trennung bezüglich der Zugangsvorrausetzungen: die FOS wird von Schülerinnen und Schülern besucht, die einen mittleren Schulabschluss erlangt haben, für den Besuch der BOS muss zusätzlich eine abgeschlossene Berufsausbildung nachgewiesen werden. Während die Schülerinnen und Schüler der Fachoberschule in der 11. Klasse ein halbjähriges Praktikum absolvieren müssen, können die Berufsoberschüler, die aufgrund der beruflichen Vorbildung keine fachpraktische Ausbildung benötigen, direkt in die 12. Klasse einsteigen. Für beide Schularten gibt es Brückenangebote, die den Übertritt erleichtern sollen. Beide Schularten ermöglichen den Erwerb der Fachhochschulreife am Ende der 12. Klasse sowie die fachgebundene Hochschulreife oder allgemeine Hochschulreife nach der 13. Klasse.

GiB Die Berufliche Oberschule hat oft den Ruf, im Schatten des Gymnasiums zu stehen. Sehen Sie das auch so?

G. Liebl Die bayerische Bildungslandschaft lebt von ihrer Vielfalt und soll jedem Schüler und jeder Schülerin einen individuell passenden Bildungsweg anbieten. Dabei sehe ich die Schularten keineswegs in einem Konkurrenzverhältnis, vielmehr ergänzen sie sich in ihren Angeboten und Schwerpunktsetzungen. In unserem gegliederten Schulwesen kann die FOSBOS viel Druck von den Eltern und Schülerinnen und Schülern bei den Übertrittsentscheidungen nach Jahrgangsstufe 4 nehmen, nach dem Motto „kein Abschluss ohne Anschluss“. Die FOSBOS kann nach der Jahrgangsstufe 10 oder auch einer Berufsausausbildung verschiedene Wege zu einer hochwertigen Berufsausbildung oder zu den Hochschulen und Universitäten eröffnen. Gerade für junge Menschen mit Interesse an einem berufsbezogenen, naturwissenschaftlichen, technischen, wirtschaftsoder sozialwissenschaftlichen Studium ist die Ausbildung an der FOSBOS eine ausgezeichnete Alternative zum Gymnasium. Rund 40 Prozent aller Studienberechtigten kommen aktuell über den beruflichen Bildungsweg an die Hochschulen – die weitüberwiegende Mehrheit davon über die FOSBOS.

GiB Vor welchen Herausforderungen steht die Berufliche Oberschule in den nächsten Jahren?

G. Liebl Insbesondere die Fachoberschulen werden wohl auch in den kommenden Jahren steigende Schülerzahlen zu bewältigen haben, bei sich abzeichnendem Mangel an Lehrkräften in einzelnen Fächern. Gleichzeitig nimmt die Heterogenität hinsichtlich der Vorbildung weiter zu durch Migrationsbewegungen, Inklusion und nicht zuletzt durch die Vielzahl neuer Bildungswege zum mittleren Schulabschluss mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Die individuelle Förderung wird einen noch höheren Stellenwert bekommen und eine Weiterentwicklung bestehender Konzepte und natürlich zusätzliche Ressourcen erfordern. Während der Pandemie haben die Schulen einen enormen Sprung im Bereich der Digitalisierung getan sowohl hinsichtlich der Ausstattung als auch bezüglich methodischdidaktischer Konzepte. Das Erreichte gilt es zu sichern und auch über die Pandemie hinaus weiter auszubauen: Onlineunterricht kann den Präsenzunterricht keinesfalls ersetzen, aber sinnvoll ergänzen. Wir müssen die Schülerinnen und Schüler auf eine zunehmend digitale Welt vorbereiten. Mit der Virtuellen Berufsoberschule (ViBOS) haben FOSBOS bereits seit dem Jahr 2000 ein wirkmächtiges OnlineAngebot zur Verfügung, mit dem der gesamte Unterricht in der Jahrgangsstufe 12 als Vorbereitung auf die Fachabiturprüfungen abgebildet ist. Auch künftig werden viele Flüchtlinge, wie aktuell durch den Angriffskrieg auf die Ukraine, an unsere Schulen kommen. Ich bin sehr dankbar für die große Solidarität der Schulen mit den ukrainischen Familien, sie leisten bei der Integration eine hervorragende Arbeit und unterstützen die geflüchteten Schülerinnen und Schüler mit Beratungs- und Bildungsangeboten, vor allem in unseren bewährten Integrationsvorklassen.

GiB Und was braucht die Schulart, um all diese Herausforderungen gut zu meistern?

G. Liebl Die kontinuierliche Weiterentwicklung der FOSBOS ist und bleibt eine zentrale Aufgabe. Dafür ist es wichtig, stets am Puls der Zeit zu bleiben, um die richtigen Weichen für gesellschaftliche Herausforderungen zu stellen. Damit dies gelingen kann, brauchen wir auch in der Zukunft hochengagierte und hochqualifizierte Lehrkräfte und das gemeinschaftliche Zusammenwirken aller Mitglieder der Schulfamilie.

GiB Vielen Dank für das Gespräch!


 

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